WIEDERKEHR DER FOLTER?

Rechtsdogmatische Analyse der aktuellen Debatte über die so genannte „Rettungsfolter“

Bearbeitet von Heike Schmitz

Das rechtswissenschaftliche Teilprojekt zur rechtsdogmatischen Analyse der aktuellen Debatte über die so genannte „Rettungsfolter“ legt in diesem Zusammenhang ein besonderes Augenmerk darauf, dass sich die Befürworter der präventiven Folter in ihrer Argumentation auffallend häufig der Schilderung zugespitzter Extremsituationen bedienen. Besonders häufig wird hierbei das so genannte Ticking-Bomb-Szenario angeführt, von dem ein ähnliches Evidenzerlebnis ausgehen könnte, wie von entsprechenden filmischen Darstellungen. Die Aufarbeitung erfolgt demnach unter der Fragestellung, inwieweit sich die Diskussion um die Notwendigkeit der Folter von bestimmten Bildern leiten lässt und welches Potential dabei visuellen Darstellungen im Vergleich zu den Textmedien zukommt. Zu erforschen ist, ob sich auf Seiten der Befürworter ein Wechsel von der logisch textorientierten Argumentation hin zur bildhaften Argumentation vollzieht und ob und inwiefern solche Ticking-Bomb-Szenarien die grundrechtsdogmatische Beurteilung der Eingriffsqualität der Folter oder der Zulässigkeit einer Abwägung beeinflussen und dies möglicherweise bei der Diskussion um die Zulässigkeit der Folter in Rechnung gestellt werden muss. 

Einzelne Stimmen in der juristischen Diskussion betrachten die so genannte „Rettungsfolter“ als neues Phänomen, das nicht von der überkommenen Ächtung der Folter erfasst werde. Die Befürworter der „Rettungsfolter“ stellen dabei darauf ab, dass sich die aktuelle Debatte durch die akute Notlage und die Verantwortlichkeit des Täters von der historischen Diskussion über die Abschaffung der Folter zur Aufklärung einer bereits verübten Straftat unterscheide. 

Ein weiterer Transferbereich des Projektes ist mithin die aktuelle Debatte und ihre überaus verkürzten historischen Argumente wieder deutlicher in ihren historischen Kontext, der Durchsetzung des Menschenrechtes, die  Würde des Einzelnen vor den Zugriffen des Staates  zu schützen, zu stellen. Dabei wird u.a. untersucht, ob und inwieweit die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Folterverbots in der aktuellen Debatte aufgegriffen werden und inwieweit gegen sie (angeblich) neue Bedrohungs- und Gefährdungsszenarien ins Feld geführt werden, die „neue Antworten“ erzwingen sollen. Zumal die Apologeten der „Rettungsfolter“ bei ihrem Verweis auf die Selbstverantwortung des Täters nun auf Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts verweisen, mit denen es den Abschuss eines ausschließlich mit Terroristen besetzten Flugzeugs für zulässig erachtet, der dazu dient, eine akute Lebensgefahr für andere Menschen abzuwenden. Nach Ansicht des Gerichts entspricht es „gerade der Subjektstellung des Angreifers, wenn […] er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird“. Er werde „daher in seinem Recht auf Achtung der auch ihm eigenen menschlichen Würde nicht beeinträchtigt.“ (Urteil vom 15.2.2006 – 1 BvR 357/05, Rn. 141 = BVerfG, NJW 2006, 751, 760). Wenn demnach die gezielte Tötung des Täters nicht mit einer Verletzung seiner Menschenwürde einhergehe, dann liege die Frage nahe, warum das bei der Folter anders sein solle (Brugger 2000: 168). Dieses Argument erscheint vordergründig plausibel, wenn Folter – und das legt der derzeitige Folterbegriff allerdings nahe – nicht mehr ist als „nur“ eine Koppelung von Körperverletzung und Nötigung. Eine Definition, zu der das von Art. 1 Abs. 1 der UN-Anti-Folter-Konvention geprägte Verständnis der Folter als staatlich veranlasste, vorsätzliche Zufügung großer körperlicher oder seelischer Schmerzen oder Leiden zu einem bestimmten Zweck verleiten kann. Zudem spiegelt keine der im juristischen Diskurs verwendeten Definitionen den Rechtsgrund, der das Folterverbot trägt – verkürzt: Schutz der Menschenwürde – wider. Zu analysieren gilt es demnach, worin der spezifische Unrechtsgehalt der Folter liegt.