a. In der Nara-Zeit (710-784) entwickelte sich der japanische Buddhismus in Anlehnung an die Richtungen des chinesischen Buddhismus der Tang-Zeit in sechs Strömungen, nämlich als:
1. Sanron-shu,
chinesisch: San Lun Zong , etwa:
"Richtung der drei Abhandlungen", nämlich Madhyamika Shastra (jap. Churon,
Abhandlung über die Mitte), Dvadasa-nikaya Shastra (jap. Junimonron,
Zwölf-Tore-Abhandlung) des indischen Denkers Nagarjuna und des Sata Shastra (jap.
Hyakuron, Hundertverse-Abhandlung) von dessen Schüler Aryadeva.
2. Jojitsu-shu,
chin.: Cheng Shi Zong , verehrt als
heilige Schrift das Satyasiddhi Shastra (jap.: Jojitsuron, Traktat über den Nachweis der
Wahrheit) von Dharmapala (jap. Goho).
3. Hosso-shu,
chin.: Fa Xiang Zong , basiert auf dem
Vijnaptimatrata-siddhi Shastra (jap. Joyuishikiron, Traktat darüber, daß alles nur
Bewußtsein ist), die dem Vasubandhu (jap. Seshin) zugeschrieben wird.
4. Kusha-shu, chin.: Zhu Shi Zong, gründet sich auf das Abhidharma-kosha Bhasyam (jap.: Abidatsuma kusharon, Quintessenz der höchsten Lehre) des Vasubandhu (jap.: Seshin).
5. Kegon-shu,
chin.: Hua Yan Zong , verehrt das
Avatamsaka Sutra (jap. Kegongyo, Blumenpracht-Sutra), das von Buddha selbst stammen soll.
6. Ritsu-shu bzw. Risshu, chin.: Lü Zong, betont Reglement und "Gesetze" für das Mönchs-leben.
Charakteristisch ist das Bestreben, den Buddhismus mit dem
Shinto zu verschmelzen und Buddha selbst sowie zahlreiche Bodhisattvas
("Heilige" bzw. Heilsbringer, die selbst schon die Buddhanatur erreicht haben)
als Kami in den Tempeln bzw. Schreinen zu verehren. Theoretisch wurde der "achtfache
Pfad" in Anlehnung an die Madhyamika ("Mittlerer Weg")-Schule des indischen
Buddhisten und Logikers Nagarjuna (1.-2. Jh. n. Chr.) zu einer Lehre von der achtfachen
Negation ausgebaut. Der (idealistische) Grundgedanke ist: Da alle Realität nur im
Bewußtsein eines Ich oder Selbsts besteht und die Bewußtseinsinhalte sich nur
gegenseitig "kausal" (karmatisch) hervorrufen, kann und muß die Nichtigkeit des
Ichs selbst eingesehen ("realisiert") werden, um alles Gegenständliche
verschwinden zu machen. Dazu ist Muga (chin.: Wu Wo : "Nichts des Ich", Selbstaufgabe) zu betreiben.
Nagarjuna bedient sich dazu des berühmten Argumentes des "Catuskoti"
(Tetralemma: dreifacher Widerspruch): "Alles ist leer und nicht-leer, und zugleich
beides, und keines von beidem" (vgl. dazu H. P. Sturm, Weder Sein noch Nichtsein. Der
Urteilsvierkant (catuskoti) und seine Korollarien im östlichen und westlichen Denken,
Würzburg 1996, bes. S. 118). Über diese Schulen der Nara-Zeit vgl. auch P. Pörtner und
J. Heise, Die Philosophie Japans, Stuttgart 1995, S.175-182, sowie G. Paul, Philosophie in
Japan, München 1993, S. 119-159.